Bremer Bündnis für deutsch-tschechische Zusammenarbeit

Hans-Joachim Weber wurde 1942 in Berlin geboren und begann nach seinem Schulbesuch 1958 eine Ausbildung bei der Bundesbahn und Bundeswehr. Im Jahr 1966 war er einer der ersten Entwicklungshelfer (DED) und baute in Tunesien eine Schule für metallverarbeitende Berufe auf. Nach 2 Jahren kehrte er zurück und arbeitete im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit bei Inter-Nationes für Einsätze in Afrika. Ab 1969 wurde er in verschiedenen Ländern in Afrika eingesetzt, bis er 1974 in den Auswärtigen Dienst übernommen wurde. Nach verschiedenen Stationen wurde er auf Wunsch des Botschafters Hermann Huber im Januar 1989 an die deutsche Botschaft in Prag versetzt. Dort war er für die vorsprechenden DDR-Bürger:innen zuständig. Als ab Mai 1989 immer mehr Menschen Zuflucht in der Botschaft suchten, war Weber auch für ihre Betreuung mit zuständig. Am 30. September 1989 begleitete er die Zufluchtsuchenden im ersten Zug in Richtung Hof. Nach Öffnung der Berliner Mauer und der innerdeutschen Grenze erlebte er die „Samtene Revolution“ in der Tschechoslowakei.

Nach weiteren Stationen in Kopenhagen, Sarajevo und Berlin ging er 2009 in den Ruhestand. Heute lebt der ehemalige Diplomat gemeinsam mit seiner Frau Hildburg in Bienenbüttel.

Wie sah dein Alltag in der Botschaft aus, was war deine genaue Aufgabe?

Fast jeden Tag kamen DDR-Bürger in die Botschaft. Schlichen sich rein, weil sie die deutsche Botschaft offiziell nicht besuchen durften. Wenn das Tor vorne offen war, dann [sind] sie rein. Wie auch immer, sie sind immer reingekommen. Selten wurden sie weggejagt von der Miliz, die gegenüber war. Vorne an der Tür war damals noch der Bundesgrenzschutz, der die Sicherheit in der Botschaft zu gewährleisten hatte. Und dann kamen sie rein und haben gesagt ‚wir sind DDR-Bürger‘ und kamen zu mir. Ich war der erste Ansprechpartner, außer es waren 40-50 Leute am Tag, dann hat der Konsul mit ausgeholfen, der Herr Rünger. Aber ansonsten warteten sie im Flur und ich habe mir immer 45 Minuten Zeit [genommen], ein Interview gemacht, die ganze Sachen aufgeschrieben. Und draußen warteten sie manchmal eine halbe Stunde, manchmal kürzer, wenn sie [vorher] schon mal da waren. Manche waren ja schon zwei- oder dreimal da. Und [da] war aber immer die Ansage: Wir bleiben aber hier, Herr Weber. Wir waren schon mal hier vor zwei Jahren, aber man hat uns immer vertröstet und gesagt, Sie kommen raus und machen Sie mal und das hat nicht geklappt. Wir haben Bekannte, die waren auch hier, die waren in [den Botschaften in] Warschau oder in Budapest und die sind jetzt in die Bundesrepublik ausgereist. Das hieß Festsetzung, das wollten wir nicht. Da musste ich reden und machen, dass die nur nicht bleiben.

Du hast den ersten Zug begleitet. Wie hat sich das für dich angefühlt? Hattest du das Vertrauen, dass alles gut geht?

Ja, das Vertrauen hatten wir. Das war abgemacht. Genscher wollte eigentlich auch im ersten Zug mitfahren. Das hat die DDR aber abgelehnt. Dann haben Genscher und sein Büroleiter gesagt, es fahren der Herr Kastrup, das war der politische Direktor im Auswärtigen Amt, der Konsul Rünger, mein Vorgesetzter, und der Herr Weber mit. Die begleiten den ersten Zug. Die Stimmung war gut. Die Stasi-Leute kamen rein, da haben alle gelacht, Witze gemacht und ihr Geld aus dem Fenster geschmissen. Dass was passiert, das wussten wir. Wenn die DDR etwas versprochen hatte, dann hielt sie sich daran. Da waren sie deutscher als deutsch. Die Stimmung war natürlich unglaublich, als dann morgens um 6 der erste Zug in Hof ankam. Aber es hatte nie irgendwer Angst. Ich bin ab und an durch den Zug gegangen und sonst saß ich in einem Abteil mit ein paar Leuten, war ja übervoll der Zug. Nein, war alles gut. Wir hatten nie den Gedanken, das könnte danebengehen oder die stellen uns auf ein Abstellgleis oder so.

Wann wurde dir und deinen Kolleg:innen bewusst, dass jetzt größere Mengen an Zufluchtsuchenden kommen?

Das war uns nicht bewusst. Also, wir wussten, dass die jeden Tag kommen. Das fing schon 1984 an, da gab es schon eine Massenzufluchtnahme. […] Dann war es jahrelang ruhig, aber [es] gab jeden Tag welche. Jeden Tag welche, die rein kamen und sagten: Hier sind wir. […] Es gab auch Tage, wo niemand kam und dann kamen wieder 30, 40. Ich glaube, es gab mal einen Tag, wo 100 kamen. 90 habe ich dann überredet wieder zu gehen, aber zehn blieben. Aber dass es mal so steigt, das wussten wir nicht. Das wusste niemand, auch Genscher nicht. Niemand wusste das. Es wusste auch niemand, dass die Grenzen offen sein würden. Es gab auch keinen Plan B.

Aber bei dem Gedanken, dass das jahrelang so weiter geht, hätte es nicht funktioniert, dass tausende Menschen in die Botschaft kommen und gebündelt ausreisen. Gab es Überlegungen, wie es weitergehen könnte?

Nein. Wenn der November nicht gekommen wäre, die letzte Ausreisewelle im November am dritten/vierten November und die Öffnung der Mauer […], dann wäre das immer so weitergegangen. Oder die DDR hätte die Grenze zur Tschechoslowakei zu machen müssen, was sie auch mal ein paar Tage gemacht hat. Dann wären die Leute eben durch den Busch gekommen. […] Es gab keine Pläne, das wäre weitergegangen. Es wäre immer so weitergegangen, bis Erich gekommen wäre und gesagt hätte: Ich mache das Licht aus und dann ist aber Schluss. Also, Pläne gab es überhaupt nicht. Es gab auch keine Idee. Wir waren auch überrascht. 

Einige Zeitzeug:innen haben uns berichtet, dass sie Stasi-Angehörigen in der Botschaft begegnet sind. Was kannst du dazu sagen?

Ja, [das] gab es auch. Bei den Leuten, die über den Zaun kamen, wussten wir es nicht. Wir haben für jeden die Personalien aufgenommen und die haben nicht gesagt: Wir sind von der Stasi. Wir wussten, dass welche kommen. Manche sind über den Zaun gekommen, haben sich mit falscher Identität vermerken lassen und sind dann am nächsten Tag wieder abgehauen, über den Zaun wieder zurück und wollten nur mal horchen, was los ist. Einen haben sie erwischt, der machte Fotos. Den haben sie, ja, nicht zusammengehauen, aber schon verprügelt. Der musste den Film rausnehmen und die haben den ein bisschen zur Seite gestoßen. Einer kam und meinte: Herr Weber, darf ich ganz offen sprechen? Mit dem bin ich aber nicht im Büro geblieben, sondern bin ins Freie gegangen um die Ecke, wo keiner zuhören konnte. Und der war von der Stasi und sagte: Ich bin von der Stasi, hier haben Sie meinen Ausweis. Den haben wir dann noch kopiert. Und ich sagte: Naja, was wollen wir machen, was wollen Sie machen? Gehen Sie wieder zurück. Der wollte auch ausreisen. Ich sage: Sie müssen wieder zurück, wir können Sie nicht hier lassen, was wollen Sie hier? Der ging dann wieder zurück, hat auch gar keiner mitbekommen. Ich habe gesagt: Legen Sie sich hinten in den VW-Bus rein, ich fahre Sie. Den hab ich noch zum Bahnhof nach Libeň oder Holešovice rausgefahren und habe dem noch Fahrgeld gegeben.

Wie habt ihr in der Botschaft die Samtene Revolution erlebt?

Die haben wir natürlich [beobachtet]. Ich wollte noch am 27. November zum Wenzelsplatz hingehen, aber wir durften nicht, weil wir nicht wussten, was dort passieren wird. Aber die [Samtene Revolution] verlief dann gut. Ich war nachher mit einer der ersten, der zwei Tage später Havel besuchte und ‚Guten Tag‘ sagte und ihm Hilfe anbot. Aber der Havel hatte durch die Charta 77 immer schon gute Kontakte zur Botschaft. Wir haben die Charta 77 ja immer unterstützt, mit Geld und Kopiergeräten. Wir haben immer eine gute Beziehung zu denen gehabt und die auch gepflegt.

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