Barbara Linke-Holická im Interview
Hallo Frau Linke-Holická, schön, dass wir hier zusammengefunden haben. Wir beginnen mit der Frage zu Ihrer Person: Wer sind Sie? Was mögen Sie über sich verraten?
Ich bin Musikerin, Bratschistin. Ich bin in Prag geboren. Zuerst habe ich am Prager Konservatorium studiert, anschließend an den Musikhochschulen in Berlin und Freiburg im Breisgau, außerdem habe ich zeitweise auch in Zürich und Amsterdam gelebt. Nach 7 Jahren im Ausland habe ich das Probespiel für Solobratsche in der Tschechischen Philharmonie erfolgreich bestanden. Das war ein Versuch, nach den vielen Jahren nach Tschechien zurückzukehren. Nach einem Jahr habe ich aber festgestellt, dass sich das Leben und Arbeiten in Deutschland für mich in der damaligen Lebensphase besser und passender anfühlt. Also bin ich zuerst nach Freiburg zurückgekehrt und habe dort als freiberufliche Musikerin gelebt. Während des Musikfestivals in Aix-en Provence in Südfrankreich habe ich mein Mann kennengelernt, der schon damals in Bremen gelebt hat. Bremen war also keine gezielte Entscheidung, das ergab sich einfach. Heute leben wir mit unserer Familie in Bremen, haben drei Kinder, ich unterrichte an der Hochschule für Musik und arbeite als freiberufliche Musikerin. Je älter ich bin, um so öfter reise ich nach Prag zurück, sowohl privat wie beruflich. Ich bin Mitglied des Ensembles Prager Kammersolisten und bin zunehmend in Prag und Tschechien tätig.
Wann waren Sie zuletzt in Tschechien – und was war der Anlass?
Das war vor ein paar Wochen, aus beruflichen Gründen. Übermorgen fahre ich wieder hin – wieder beruflich. Ich genieße die Möglichkeit dort auch meine Freunde, Verwandte und auch geliebte Plätze und Orte zu sehen, wenn ich Zeit habe. Als Familie sind wir auch regelmäßig in Tschechien. Vor drei Jahren haben wir mit meinem Mann den Schritt gewagt und eine alte Berghütte im Riesengebirge gekauft, wo wir viel Freizeit verbringen.
Mit meiner Freundin, Geigerin aus der Tschechischen Philharmonie Lenka Machová, haben wir dort vor drei Jahren ein Musik-Literatur Festival gegründet, das sich auch mit deutsch-tschechischen Geschichte und Kultur beschäftigt.
Meine Kinder wachsen zweisprachig auf. Wir versuchen beide Kulturen und Identitäten in der Familie zu stärken. Das ist mir sehr wichtig. Mein Mann und die Kinder sind sehr offen dafür, wofür ich sehr dankbar bin.
Was ist Ihrer Meinung nach typisch deutsch, was ist typisch tschechisch? Und was sind Gemeinsamkeiten?
Obwohl ich wirklich empfinde, dass die Unterschiede existieren, versuche ich mit Klischees aufzupassen. Mein Erleben von „typisch deutsch“ ist jedoch wahrscheinlich: Disziplin und Pünktlichkeit. In Tschechien ist es üblicher – und auch einfacher – eine Situation mit Humor aufzulockern und auch Regeln etwas freier zu sehen. Aber – auf beiden Seiten findet man Ausnahmen, der Faktor Mensch spielt hier sowie dort immer die wichtigste Rolle.
Und die Gemeinsamkeiten? Ich glaube, eine wichtige Gemeinsamkeit ist flüssig, man kocht es aus Hopfen, trinkt es gut gekühlt und am Besten frisch gezapft (lacht).
Aber eine weitere wunderbare Gemeinsamkeit ist tatsächlich Musik – wir sollen nicht vergessen, dass einer der besten Freunde unserer Musikikone Antonín Dvořák der deutsche Komponist Johannes Brahms war! In der ganzen Kulturgeschichte finden wir gegenseitige Inspirationen und Gemeinsamkeiten.
Das Verbindende: Gibt es etwas, das Menschen aus Tschechien und Deutschland voneinander lernen können / sollten?
Oh ja, unbedingt. Tatsächlich ist die Sache mit der Disziplin gerade in der Musik eine positive Eigenschaft. An deutschen Musiker*innen sehe ich oft und schätze sehr eine absolute Ernsthaftigkeit, wenn es um ihre Arbeit geht. Aber man kann auch zu diszipliniert sein, zu intellektuell, zu organisiert. Zu viele Regeln und zu viel Disziplin könnten eine Mauer bauen, den Zugang zu eigenem Instinkt und Spontanität absperren. Musik ist eine Sprache, die aus dem Menschen herauskommen muss, es braucht ein tiefes Vertrauen und Natürlichkeit. Der tschechische Zugang zu Musik (Vorsicht ein Klischee!) ist etwas musikantischer, wir würden sagen – mehr aus dem Bauch raus. Disziplin und Natürlichkeit, beides ist sehr wichtig und die Balance zu finden, ist manchmal nicht leicht.
Die Fähigkeit, über sich selbst zu lachen, eine gewisse Selbstironie, ist wiederum eine Eigenschaft, die ich bei den Tschech*innen sehr oft sehe und die auch oft einen verspannten Moment lustig machen kann. Überhaupt ist es der Humor, den ich an den Tschechen mag und wo ich mich oft frage – ob es an der Sprache liegt?
Suchen Sie sich bitte eine der beiden Sprachen aus: Was ist Ihr Lieblingswort auf Deutsch bzw. auf Tschechisch – und warum?
Im Deutschen mag ich das Wort „Herausforderung“ sehr. Das tschechische Äquivalent „výzva“ erscheint mir nicht adäquat. Herausforderung klingt nach Handlung, nach Tiefe und Bewegung nach vorne. Es zeigt, dass man etwas tun muss, aktiv werden muss. Als ob man eine Schaufel nimmt und aus der Tiefe etwas herausbringt.
Im Tschechischen mag ich „pohoda“ – das lässt sich am ehesten mit „Gemütlichkeit“ umschreiben, aber eben nur umschreiben. Es ist ein Zustand von Ruhe, Ausgeglichenheit. aber auch Freude. Diese beiden Worte zeigen vielleicht auch die unterschiedlichen Gemüter ganz gut an (lacht).
Tatsächlich erlebe ich, dass ich mich immer etwas anders fühle, je nachdem, welche Sprache ich benutze. Es ist, als würde man in eine andere Sprachpersönlichkeit schlüpfen.
Ausblick für die Zukunft: Denken Sie, beide Länder sollten noch mehr in den Austausch gehen, ihre Verbindung zueinander verstärken, auch im Sinne eines gemeinsamen europäischen Gedankens? Haben Sie einen Wunsch / eine Vision, wie das aussehen könnte?
Das denke ich allerdings, dass genau das eine Ebene ist, auf der wir sehr aktiv bleiben sollen. Wenn ich Nachrichten in beiden Ländern sehe, dann sehe ich oft zwei sehr verschiedene Ansichten auf eine gewisse Situation. Es gibt die deutsche Berichterstattung und es gibt die tschechische. Das ist einerseits verständlich, die jeweiligen Länder haben ein eigenes Verständnis, politisch, wirtschaftlich, historisch. Gleichzeitig ist aber genau das eine Schwierigkeit: Manchmal fehlt das Wissen über, bzw. das Fühlen und Empfinden der anderen Seite. Besonders in Westdeutschland ist den Menschen manchmal nicht bewusst, was z.B. nach dem 2. Weltkrieg in Osteuropa los war. Meine Tochter, 10.Klasse, hat kürzlich mit der Schule das Stasi-Gefängnis in Berlin besucht. Das finde ich wahnsinnig wichtig. Junge Menschen wissen oft gar nicht mehr, was das eigentlich bedeutet: Stasi. Das war eine Zeit des Terrors und aus diesem Terror, dieser schrecklichen Zeit der Totalität, sind wir in Tschechien – und auch in der ehemaligen DDR – erst 30 Jahre raus. Es braucht ein Bewusstsein dafür, was das mit der Gesellschaft gemacht hat und wie das noch in den Seelen der Menschen nachwirkt.
Deutschland und Tschechien sind zu unterschiedlichen Entwicklungszeitpunkten der Europäischen Union beigetreten, und vielleicht auch mit unterschiedlichen Gedanken und Motiven. Da hilft meiner Meinung nach nur eines: Nonstop-Aufklärung, was die EU eigentlich ist, welche Idee von Europa dahintersteht – und zwar auf beiden Seiten, und man sollte auch immer wieder abgleichen, inwieweit diese Werte in der jeweiligen Situation noch aktuell sind und gelebt werden.
Wir brauchen sehr viele Menschen, die Kanäle, Brücken und Verbindungen bauen, und zwar solche, die nicht auf staatlicher Ebene arbeiten. Kultur ist da eine Möglichkeit. Vereine, zum Beispiel das Bremer Bündnis für Deutsch-Tschechische Zusammenarbeit oder Porta Bohemica sind wunderbare Beispiele. Diese Arbeit erreicht andere Schichten der Gesellschaft. Ich würde mir wünschen, dass viele deutsche Bücher ins Tschechische übersetzt werden und andersrum. Ebenso finde ich sehr wichtig, die gemeinsame deutsch-tschechische Geschichte zu thematisieren. Es gab in der Geschichte einige Momente, die immer noch ein sensibles Thema für beide Länder sind, bessere Geschichtskenntnisse könnten helfen, verschiedene Vorurteile zu beseitigen. Das sollte nicht nur Historiker*innen beschäftigen, sondern auch Geschichtslehrer*innen und Kulturveranstalter*innen. Tschechische Schüler*innen wissen, denke ich, z.B. viel zu wenig über den deutschen Widerstand während der NS-Zeit. Deutsche wiederum sollten viel mehr über die schon erwähnte Kommunistische Diktatur lernen. Das Reisen und Schulaustausch ist auch gute Gelegenheit die andere Seite zu entdecken. Und zwar Reisen nicht nur zwischen den beiden Hauptstädten. Als Pragerin liebe ich die tschechische Hauptstadt und bin auch sehr stolz darauf, aber um Tschechien wirklich kennenzulernen, müsste man auch andere Teile des Landes besuchen.
Vielen Dank für das Interview.